Dorothee Sölle

Biographie

Die Unangepasste
Dorothee Sölle wurde am 30. September 1929 als Dorothee Nipperdey in Köln geboren. Sie studierte zunächst klassische Philologie und Philosophie und wechselte später zu den Studienfächern Theologie und Germanistik. Sie selbst bezeichnete sich in Deutschland meist als freie Schriftstellerin oder freischaffende Theologiearbeiterin.
Nach ihrer Promotion in den Literaturwissenschaften wurde Sölle an der Universität zu Köln habilitiert. Ein Lehrstuhl in Deutschland blieb ihr allerdings verwehrt, sodass sie mehrere Jahre am Union Theological Seminary in New York lehrte. 1977 erhielt sie eine Ehrendoktorwürde der Facultê de Theologie Protestante de Paris und erst 1994 eine Ehrenprofessur an der Universität Hamburg.
Nach ihrer Scheidung von ihrem ersten Ehemann Dietrich Sölle lebte sie als alleinerziehende, berufstätige Frau. Für damalige Verhältnisse, besonders für die Kirche, ein Skandal. Ihre zweite Ehe führte sie bis zu ihrem Tod im Jahre 2003 mit dem Theologen und ehemaligen Benediktinermönch Fulbert Steffensky.

Einflüsse

1968 in der Kirche
Dorothee Sölle beschäftigte sich intensiv mit der deutschen Schuld und dem Bewusstsein, nach Auschwitz zu leben. Sie kämpfte gegen den Vietnamkrieg, gegen den NATO-Doppelbeschluss zur Nachrüstung und gegen den Irakkrieg.
Von der US-amerikanischen Frauenbewegung inspiriert, vertrat Sölle den Widerstand gegen Gehorsam und jede Form von Patriarchat. Gemeinsam mit der Theologin Luise Schottroff arbeitete Sölle an feministischer Befreiungstheologie. Schriften des Philosophen Ernst Bloch nahen großen Einfluss auf Sölle, was sich nicht zuletzt in ihrem Werk „Atheistisch an Gott glauben“ widerspiegelt.

Theologie

„Jeder theologischer Satz muss auch ein politischer sein.“ (Sölle 1995:71)

Für Dorothee Sölle gehörten Glauben, Politik, Beten und Handeln unbedingt zusammen. Ein allmächtiger Gott schien ihr unmöglich in Anbetracht des Grauens des Dritten Reiches. Vielmehr brauche Gott die Menschen, um zu sein, um die Schöpfung zu realisieren. Eine klare Positionierung gegen die menschliche Ohnmacht.
Diese Auffassung, dieser Handlungsaufruf, wurde auch zum zentralen Thema des politischen Nachtgebets 1968 in der Kölner Antonienkirche. Als maßgebliche Kraft der monatlichen Zusammenkünfte, politisierte Sölle den christlichen Gottesdienst. Glauben wurde mit aktuellen Themen verbunden. Neben Fulbert Steffensky waren auch unter anderem Heinrich Böll und Ulrike Meinhof bei politischen Nachtgebeten präsent.

1968 verfasste Sölle ein Credo. In diesem Glaubensbekenntnis wird die geschwisterliche Betrachtung Jesu deutlich. Neben der Abgrenzung zu einer hierarchisch geprägten Beziehung zu Jesus, setzte sich Sölle auch über die Unterscheidung des historischen vom verkündeten Jesus hinweg (Schottroff/Wind 2009: 191). Jesus sei die Ermöglichung, anders zu sein, dagegen zu sein, die Welt zu verändern und seine Arbeit fortzusetzen (vgl. ebd.: 194,200).
Große Aufmerksamkeit widmete Sölle der feministischen Suche nach dem Namen Gottes. Es brauche „Gottessymbole ohne Autorität und Macht, ohne chauvinistischen Beigeschmack“ (Sölle 1995: 29). Sie wendete sich gegen die andromorphe, androzentristische Gottesvorstellung im „Zwangskorsett männlicher, autoritärer Sprache“ (Sölle 1995: 39). Sölle plädierte dafür, die falsche hierarchisch gedachte Transzendenz zu überwinden. Gemeinsam mit Schottroff verfasste Sölle eine ökofeministische Annäherung an die Bibel und wandte sich später spirituellen und mystischen Themen zu.

Werk

Die Hauptwerke Sölles sind:

  • Gegenwind (1995)
  • Mystik und Widerstand (1997)

Weitere Werke sind:

  • Mutanfälle, Texte zum Umdenken (1996)
  • Es muss doch mehr als alles geben, Nachdenken über Gott (1995)
  • Atheistisch an Gott glauben, Beiträge zur Theologie
  • Politische Theologie, Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmann (1971)
  • Kirche ist auch außerhalb der Kirche: aus einem Referat von Dr. Dorothee Sölle am 12.Deutschen Evangelischen Kirchentag Köln (1965) online https://www.eperiodica. ch/cntmng?pid=new-001:1967:61::516 (zuletzt eingesehen: 18.06.2021)


Werke in Zusammenarbeit mit Luise Schottroff:

  • Den Himmel erden, Eine ökofeministische Annäherung an die Bibel (1996)
  • Hannas Aufbruch, Aus der Arbeit feministischer Befreiungstheologie: Bibelarbeiten, Meditationen, Gebete


Weitere Hinweise:

  • Dorothee Sölles Credo ist hier auf der letzten Seite nachzulesen. (zuletzt eingesehen: 21.06.2021)
  • Ulla Hahn schildert in ihrem Roman Spiel der Zeit das erste Nachtgebet. (Hahn, Ulla (2014) Spiel der Zeit. München: Deutsche Verlags-Anstalt)
  • Website über Dorothee Sölle

Rezeption und Kritik

„Dass Sölles Positionen, die zu ihren Lebenszeiten stark kritisiert wurden, heute in weiten Teilen der Kirche Normalität geworden sind, zeigt, wie weit sie in ihrem Denken und Handeln ihrer Zeitvoraus war.“ (Scholl, Herzberg, Weyer 2016: 23)

Besonders in Bezug auf das politische Nachtgebet wurde Kritik gegen Dorothee Sölle laut. Der Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Beckmann, wollte eine unabhängige Kirche ohne Politik.
Es gab auch durchaus Befürchtungen vor Radikalität in den Kreisen des politischen Nachtgebets und Angst vor der Wiederholung der Geschichte nur von der anderen Seite. Das von Dorothee Sölle verfasste Credo in einfacher Sprache bildete den Ausgangspunkt vielfacher Kritik.
Doch „Ohne sie hätten das Politische Nachtgebet und die Feministische Theologie wohl kaum den Weg auf die Kirchentage und von dort in die Gemeinden gefunden,“ sagte Margot Käßmann in einem Nachruf für Sölle. „Wie viele Anregungen hat sie gegeben!“ (Käßmann 2003). Dorothee Sölle gilt heute als eine der einflussreichsten Theologinnen weltweit.
„Aber diese Frau ist mir zu wenig tot, als dass ich nicht weiter mit ihr redete, sie befragte und mit ihr stritte. Sie ist tot, und sie lebt. Sie ist verstummt, und viele hören ihre Stimme.“ (Steffensky 2004). Für viele war und ist Dorothee Sölle Grund, weiter zu glauben, theologisch zu arbeiten und Position zu beziehen.
Ihre Texte finden wir heute in zahlreichen (Schul-) Büchern. Ihre poetischen Texte wurden mehrfach musikalisch vertont.

Hier kannst du den Text als pdf herunterladen.

Literatur


KÄßMANN, Margot (2203) "Eine ungeheuer kreative theologische Denkerin". Zum Tode von Dorothee Sölle. Online https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/presse-undmedien/ nachrichten/2003/04/28-1059#mk (zuletzt eingesehen: 21.06.2021).

SCHOLL, Annette; Herzberg, Markus; Weyer, Anselm (2016) Liturgie von links, Dorothee Sölle und das politische Nachtgebet in der Antonienkirche. Köln: Greven Verlag.

SCHOTTROFF, Luise; Wind, Renate (2009). Wie von Gott reden in einer Welt der Gewalt? Zur Christologie Dorothee Sölles. Online https://bibel-kontextuell.de/wpcontent/
uploads/2019/02/L.Schottroff_Wind-Christologie-Sölle.pdf (zuletzt eingesehen:
21.06.2021).

SÖLLE, Dorothee (1995) Es muß doch mehr als alles geben, Nachdenken über Gott. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

STEFFENSKY, Fulbert (2004) Nachwort zu einem Leben. Online https://hup.sub.unihamburg. de/volltexte/2008/56/pdf/HamburgUP_HUR08_Soelle.pdf (zuletzt eingesehen 21.06.2021).

ZILLMANN, Barbara (2018) Von der Ketzerin zum Vorbild, Eine Erinnerung an Dorothee Sölle. Online https://www.deutschlandfunkkultur.de/eine-erinnerung-an-dorothee-soelle-von-derketzerin- zum.1124.de.html?dram:article_id=416799 (zuletzt eingesehen: 18.06.2021).