Jean-Marc Ela
Jean Marc Ela, ein „Theologe unter dem Baum“
In seinem theologischen Diskurs legt Jean-Marc Ela anhand sorgfältiger soziologischer Analysen der afrikanischen Gesellschaften die Grundlagen für eine afrikanische politische Theologie. In der Tat stellt Ela die westliche Missionstheologie in Frage, die viel zu oft die sozialpolitischen Angelegenheiten aus dem theologischen Diskurs exkludiert. Er plädiert für eine neue Theologie in Afrika, die diese Themen berücksichtigt. Darüber hinaus fordert Ela eine Inkulturationstheologie in Afrika, in der das Gottesverständnis mit den afrikanischen Weltbildern in Einklang gebracht wird.
Biographie
Jean Marc Ela wurde 1936 in Ebolowa im Süden von Kamerun geboren. Nach seinem Abitur studierte er in Straßburg Philosophie und Theologie und promovierte 1969 in der Theologie über das Thema: Transcendance de Dieu et existence humaine chez Luther. Essai d’introduction à la logique d’une théologie. 1971 kehrte Ela in seine Heimat zurück und arbeitete als Missionar im Norden von Kamerun. 1978 wurde er in der Soziologie promoviert. Das Thema seiner Dissertation lautete: Structures sociales et changements économiques chez les montagnards du Nord-Cameroun. L’exemple de Tokombéré. Außer dem Pfarramt lehrte Ela auch an der Université de Yaoundé Soziologie. Wegen seiner kritischen Stimme gegenüber dem Regime von Paul Biya floh er 1995 nach Quebec ins Exil. Dort setzte er seine Lehrtätigkeit an der Universität Laval bis 2008 fort. Im Dezember 2008 starb Ela mit 72 in Vancouver.
Einflüsse
„Die Bibel will von Gott sprechen. Ausgangspunkt ist aber nicht die Schöpfung, sondern zunächst die Geschichte, in der sich Gott in der Befreiung seines Volkes offenbart“
Jean Marc Ela wuchs in einer Zeit auf, die vor allem von nationalistischen afrikanischen Protesten gegen den Kolonialismus und der Forderung nach der politischen Unabhängigkeit geprägt war. In seinen Schriften ist deutlich zu merken, dass Ela der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung besonders nah stand. Er suchte dementsprechend bereits als junger Theologe in der Bibel das Potenzial der Befreiung der „formell“ unabhängig gewordenen Staaten Afrikas von dem Imperialismus, aber auch von der ihm nahestehenden diktatorischen Elite der afrikanischen Staaten. Später lässt sich auch ein großer Einfluss des deutschen Theologen Johann-Baptist Metz auf unseren Theologen feststellen, besonders seine Vorstellung von Gottes Transzendenz und seiner Immanenz in der Welt, d.h. die Vorstellung, dass der Gott Jesu Christi nicht ohne die historische Erfahrung und das menschliche Leiden gedacht werden kann. Was für Metz Ausschwitz bedeutet, heißt für Ela Sklaverei, Kolonisation, Neokolonialismus und alles, was die Menschen in Afrika zu einem Opfer des Gewinns zu machen versucht. (Bilong 2022: 22)
Theologie
„Die Auferstehung als Mittelpunkt [des] Glaubens ruft uns dazu auf, an der Befreiung der Verdammten der Erde mitzuwirken“ ( Ela, 2003: 168)
Es ist schwer in Ela den Theologen von dem Soziologen zu trennen. Ela wird insofern als „Theologe unter dem Baum“ genannt, denn seine Theologie fußt auf seinen soziologischen Analysen, die er mit seinen Mitmenschen vor Ort (unter dem Baum) macht. Der erfolgte Imperialismus in den sog. Entwicklungsländern, die kulturelle und wirtschaftliche Unterdrückung von Afrika durch den sog. globalen Norden einerseits, die Ungerechtigkeit, die Missachtung der Grundfreiheiten des Menschen und schließlich die Plünderungen der Armen durch die Vermittlung korrupter Eliten andererseits, sind, so Ela, die Hauptkennzeichen der afrikanischen Gesellschaften (Ela, 1993: 163). Während Afrikaner*innen sich von diesen Ketten zu befreien versuchen, stellt Ela fest, dass die Kirchen ihrerseits durch ihre Abwesenheit in diesen Kämpfen versagen. Er fordert die afrikanische Theologie deshalb auf, in dem Menschen, eine Kraft des aktiven Widerstands gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung hervorzurufen, um der Stimme des Evangeliums in der Wüste Gehör zu verschaffen, im Respekt für den Menschen, unabhängig von seinem Zustand und seinen Überzeugungen (Ela, ebd.: 129). Daher müsse man in Solidarität mit den Armen und Ausgebeuteten der Gesellschaften leben, die vom Imperialismus gedemütigt werden, man müsse sich für die Befreiung des Menschen in der Nachfolge des Gekreuzigten von Golgatha einsetzen. Für Ela muss die Aufgabe des theologischen Diskurses vor allem darin bestehen, das imago Dei im Sinne des im Exodusbuch beschriebenen Gottes wiederherzustellen. Ela verteidigt außerdem eine Ökotheologie und kritisiert aufs Schärfste die Dominionstheologie, die den Menschen als Herrscher der Natur sieht, denn die Sünde hat eine ökologische Dimension (Ela 2003: 130-132.).
Kritik
Daniel Bilong kritisiert Elas Anthropologie, denn für Ela, so Bilong, ist der leidende Mensch so wichtig, dass er ihn im Endeffekt nur noch auf negativen Erfahrungen seiner Existenz reduziert und deswegen die Schönheit, die Freuden und das Genie des Menschen übersieht. Außerdem wird Elas Theologie beanstandet, die Verantwortung des Einzelnen, was sein Leiden anbelangt, zu minimieren und das komplette Übel in den sozialen Strukturen zu verorten. Ein anderer Vorwurf gegen Elas Theologie ist eben, dass er seine theologische Richtung (die Theologie der Befreiung) als einzigen Ausweg des theologischen Diskurses in Afrika sieht (Bilong 2020: 352-370). Trotz aller Ambivalenz bleiben Elas Überlegungen für die afrikanische politische Theologie so relevant und so aktuell, dass keiner, der sich mit afrikanischen Theologien beschäftigen will, an ihm vorbeikommen kann.
Literatur (Auswahl)
Ela, Jean-Marc, Le cri de l’homme africain. Questions aux chrétiens et aux Eglises d’Afrique, Paris 1993.
Ela, Jean-Marc, Repenser la théologie africaine. Le Dieu qui libère, Paris 2003. (Deutsche Übersetzung: Gott befreit. Neue Wege afrikanischer Theologie).
Ela, Jean-Marc, Ma foi d’Africain, Préface d’Achille Mbembe. Postface de Vincent Cosmao. Nouvelle édition, Paris 2009. (Deutsche Übersetzung: Mein Glaube als Afrikaner).
Ela, Jean-Marc/ René Luneau, Voici le temps des héritiers. Églises d’Afrique et voies nouvelles. Postface de V. Cosmao, Paris 1981.
Der Text als pdf lässt sich hier herunterladen.