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Einführung
Asiatische Befreiungstheologien allgemein
Asiatische Befreiungstheologien sind seit den 1970er Jahren entstanden. Sie sind beeinflusst von südamerikanischen Befreiungstheologien und teilen ihr Selbstverständnis als kontextuelle Theologien. Ihr Anliegen ist, auf die Not der Menschen im jeweiligen Kontext zu antworten.
Im Unterschied zu den Befreiungstheologien aus Südamerika stellen Christ:innen in Asien eine Minderheit dar. Sie sind heterogener in Bezug auf Sprache, Geschichte, ihre wirtschaftliche und politische Situation. Bei Befreiungstheologien aus Asien stehen Klassenunterschiede und sozialistische Ideen weniger im Fokus.
Stattdessen spielen Massenarmut und die Verwehrung demokratischer Rechte sowie der Menschenrechte im Fokus. Religion nimmt in diesen Strukturen eine doppelte Rolle ein: Zum einen ist sie Instrument der Unterdrückung, zum anderen stiftet sie Gemeinschaft und hält Potenziale zur Befreiung bereit. Auch ökologische Probleme werden in Asiatischen Befreiungstheologien adressiert.
Nach- und Weiterlesen
Wielenga, Bastiaan: Liberation Theology in Asia, in: Rowland, Christopher (Hg.): The Cambridge Companion to Liberation Theology, Cambridge 2007.
Minjung-Theologie
Kontext
Korea stand von 1910 bis 1945 unter japanischer Kolonialherrschaft, danach wurde das Land geteilt.
Im Korea-Krieg 1950–1953 starben mehr als 3 Millionen Menschen.
1961 kam General Park Chung-hee durch einen Militärputsch an die Macht. 1972 rief er das Kriegsrecht aus und errichtete eine repressive Diktatur. Die Vertretenden der Minjung-Theologie waren als Teil der Protestbewegung Verfolgung und Inhaftierungen ausgesetzt.
Minjung
(wörtlich „Volksmasse“)
„Minjung-Theologie“ bezeichnet eine Theologie, die den Standpunkt der unterdrückten und ausgebeuteten Mehrheit einnimmt. Anders als in südamerikanischen Befreiungstheologien geht es dabei nicht nur um die sozioökonomischen Faktoren. Minjung ist ein dynamischer Begriff, der zum Beispiel auch Unterdrückung wegen Gender miteinschließt.
Im Mittelpunkt steht die Leidenserfahrung der Menschen, die sie mit dem leidenden Christus verbindet.
Ahn Byung Mu, Neutestamentler und einer der ersten Vertreter der Minjung-Theologie, stellt die Bedeutung des Begriffs οχλος (Volk) im Markusevangelium heraus.
Anders als λαος (Gottesvolk) bezeichne οχλος die unterdrückte Menge aus der galiläischen Unterschicht. Mit ihr teilte Jesus die Erfahrung des Leidens und die eschatologische Hoffnung auf das Reich Gottes.
Han und Dan
Der Dichter Kim Chi-Han prägte die Konzepte von Han und Dan für die Minjung-Theologie.
Han bezeichnet das kollektive Leiden, die Trauer und Wut des koreanischen Volkes angesichts traumatischer Erfahrungen. Dan sei die kreative Verarbeitung von Han, die eine revolutionäre Kraft zur Transformation der Unterdrückungssituation freisetze.
“Dan is to overcome han. Personally, it is self-denial. [LH1] Collectively, it is to cut the vicious circle of revenge.”(Kim Chi-Han)
Zitiert nach: Suh, Nam-Dong Suh: Toward a Theology of Han, in: Kim, Yong-Bock (Hg.): Minjung Theology. People as the Subjects of History, New York 1983, 63.
Die Artikulierung und Bewältigung von han erfolgt durch die kulturellen Narrative und Praxen der koreanischen Minjung. Eine besondere Rolle spielt dafür traditioneller Maskentanz, der oft Satire und Herrschaftskritik ausdrückt.
Hyun Young-Hak bezeichnet die Wirkung des Tanzes als kritische Transzendenz: Durch befreiendes Lachen entstehe eine Distanz zwischen den Leidenden und ihrer Erfahrung. So werde die Unterdrückung transformiert.
Han-Pu-Ri
Chung Hyun-Kyung, eine öko-feministische Minjung-Theologin, bezeichnet koreanische Frauen als doppelt unterdrückte „Minjung innerhalb der Minjung“. Um dieses Leiden zu lindern, entwickelt sie aus der schamanischen Tradition das dreischrittige Verfahren Han-Pu-Ri:
1. Sprechen und zuhören
2. Benennen
3. Aktives Verändern der Situation
Nach- und Weiterlesen
Küster, Volker: A Protestant Theology of Passion. Korean Minjung Theology Revisited, Leiden 2010.
Chung, Hyun-Kyung: Struggle to Be the Sun Again. Introducing Asian Women's Theology, New York 1990.
Homeland Theology
Kontext
Die multiethnische Bevölkerung Taiwans stand seit dem 17. Jahrhundert unter der Kontrolle der chinesischen Qing-Regierung und ab 1895 unter japanischer Kolonialherrschaft. 1945 besetzte die chinesische Kuomintang die Insel und errichtete eine Einparteiendiktatur. Die presbyterianische Kirche, in dieser Zeit eine der größten taiwanischen Organisationen, verstand sich zunehmend als Sprachrohr für die taiwanische Bevölkerung.
1971 verlor die Republik China auf Taiwan ihren Sitz in den Vereinten Nationen. In den Folgejahren reflektierten Theolog*innen über die eigene taiwanische Identität in Selbst- und Fremdbestimmung unter der Kategorie des „Homeland“. Die presbyterianische Kirche auf Taiwan forderte in mehreren öffentlichen Statements Menschenrechte, taiwanische Eigenständigkeit und Demokratie.
“We have to live in our homeland as second class citizens. We have to use our mother tongue as the second class language, very often with an imposed sense of shame and guilt. In essence we are denied our inalienable right to self-determination.”
(Shoki Coe 1982 vor dem Komitee für Menschenrechte des US-Parlaments)
Zitiert nach Taiwan Communique, 9 (October 28, 1982), 9f.
Homeland Theology
Wang Xianzhi führte das Konzept der Homeland Theology 1979 ein. Theologische Hauptmotive seien Ethnie, Land, Macht und Gott. Anhand dieser Motive zieht Wang Parallelen zwischen der biblischen Heilsgeschichte und der taiwanischen Geschichte. Im Kern seiner Theologie stehe das taiwanische Volk auf seiner Suche nach Identität, die ihm von der chinesischen Regierung verweigert werde.
Eine zentrale Rolle spielt für Wang die Interpretation biblischer Bundesschlüsse. Gott befreie das israelische Volk in den Mosaischen und Abrahamitischen Bundesschlüssen von der ‚demonic superpower‘ Babylon und der pharaonischen Theokratie, so wie auch die taiwanische Bevölkerung sich gegen die Übermacht der chinesischen Regierung verteidigen müsse.
Die chinesische Exilregierung müsse sich auf den in Deuterojesaja geforderten neuen Exodus begeben und den prophetischen Ruf nach „politics of the suffering servant“, die in Jesus verwirklicht worden sei, annehmen.
Die presbyterianische Kirche Taiwans
Wangs Homeland Theology wie auch andere theologische Ansätze der Zeit entstanden im Umfeld der „Christians for Self-Determination in Taiwan“, einer Gruppe innerhalb der presbyterianischen Kirche Taiwans. Die Kirche war Teil der Protestbewegung gegen die Regierung und sah sich selbst in einer Prophetinnenrolle. Sie wehrte sich gegen die Staatssprache Mandarin: Ihre Gottesdienste und Publikationen waren zumeist auf Chinesisch. Mehrere Vertreter*innen wurden wegen ihres Protests inhaftiert.
Nach- und Weiterlesen
Wang, Hsien-chih / Chen, Nan-jou: A Testament to Taiwan Homeland Theology. The essential writings of Wang Hsien-Chih, Taipei 2011.
Rychetská, Magdaléna: The Presbyterian Church in Taiwan and Its Changing Narrative on Human Rights, Review of Religion and Chinese Society, 2022, 1–31.
Zitat:
“[Abraham] had cut his relationship with Babylonian imperialism and chauvinism. This implied that Taiwan has to struggle against Babylon too!” (Wang Xianzhi)
Wang, Hsien-chih / Chen, Nan-jou: A Testament to Taiwan Homeland Theology. The essential writings of Wang Hsien-Chih, Taipei 2011, 51.
“The idea of a homeland […] is not an abstract speculation or theologization of a Heavenly Kingdom, but rather a kingdom of minjung who are struggling for the human dignity in the imago Dei.” (Wang Xianzhi)
Wang, Hsien-chih / Chen, Nan-jou: A Testament to Taiwan Homeland Theology. The essential writings of Wang Hsien-Chih, Taipei 2011, 63
Theology of Struggle
Kontext
Von 1521 – 1946 herrschten auf den Philippinen erst spanische und dann US-amerikanische Kolonialherrschaft. 1972 rief der Präsident Ferdinand Marcos das Kriegsrecht aus und herrschte bis 1986 als Diktator. In dieser Zeit plünderte er den Staatshaushalt zugunsten von Familienangehörigen und Vertrauten.
Struggle
Fr. Edicio de la Torre gründete 1972, inspiriert von südamerikanischer Befreiungstheologien, die katholische Protestgruppe „Christians for National Liberation“. Innerhalb dieser Gruppe entstand der Begriff der Theology of Struggle. „Struggle“ bezeichnet das Dringen der unterdrückten philippinischen Bevölkerung gegen ein repressives Staats- und Wirtschaftssystem hin zu Würde, Identität und Befreiung. De la Torre versteht den Struggle dabei als stetig unabgeschlossenen Prozess, der erst mit umfassender Befreiung beendet werden kann.
Kontextualität
Theology of Struggle versteht sich als inkarnierte Theologie. Ähnlich wie in südamerikanischer Befreiungstheologie geht sie von den Lebens- und Leidenserfahrungen philippinischer Armer aus. Durch die Annahme dieses Standpunktes ereigne sich Erlösung von Dominanz und Unterdrückung. Besonders berücksichtigt werden repressive sozioökonomischen Strukturen und die philippinische Kolonisationsgeschichte.
Von diesem Standpunkt aus werden biblische Texte gelesen und neuerzählt. So die Aktivistin und Theologin Lydia Niguidula über die Weihnachtsgeschichte:
“While the government officials were too busy in their business as usual: census-taking, tax-collecting, people-molesting, they were not aware of a birth that was taking place among the peasant women.”
Niguidula, Lydia: God’s Strategies in Oppressive Systems, in: Bautista, Liberato (Hg.): Human Rights: Biblical and Theological Readings, Quezon City, 1988.
Aktivismus
Der Struggle hin zur Befreiung von Armut und Unterdrückung sollte mehr Praxis als theologisch-theoretische Reflektion sein. Eine erneuerte Kirche sei erforderlich, die selbst Schauplatz des Struggle hin zum Reich Gottes auf der Erde sei. Erst mit der Verwirklichung von Gerechtigkeit und Frieden auf Erden sei der Struggle abgeschlossen und die Aufgabe der Kirche erfüllt.
Nach- und Weiterlesen
Asedillo, Lisa: The Theology of Struggle – Critiques of Church and Society in the Philippines (1970s-1990s), Indonesian Journal of Theology Vol. 9, No. 1 (Juli 2021), 62–92.
Fernandez, Eleazar: Toward a Theology of Struggle, New York 1994.
Zitat:
“It took living under Martial Law and the popular struggles which I supported and in which I participated, for me to realize that salvation really had much to do with the here and now, with the reign of God on earth, with the concrete, material and historical concerns of people as they struggle for land, for food, for shelter, for the most basic stuff of life which are denied them. Some Philippine theologians name this new paradigm as the “theology and spirituality of struggle.”[LH6]
Rebecca Asedillo
(Asedillo, Rebecca: A Protestant Woman’s Emerging Spirituality, In God’s Image, Vol. 12, No. 3 (1993), 16.)
Dalit-Theologie
Wer sind Dalits?
Dalits („die Gebrochenen“) sind Menschen, die im Kastensystem des Hinduismus als „unrein“ gelten und deshalb ausgegrenzt werden. Benachteiligungen beispielsweise in der Schule, am Arbeitsplatz oder beim Zugang zu öffentlichen Wasserquellen sind häufig. Auch in Kirchen findet Diskriminierung statt.
Dalit-Theologie
Marxistisch geprägte Befreiungstheologien wurden der komplexen Logik des Kastensystems nicht gerecht, während die bestehende Theologie Indiens die Lebenssituation der Dalits nicht berücksichtigt. Dalit-Theologie entstand in den 1980er Jahren und stellt die Befreiung der Dalits in den Mittelpunkt ihrer Theologie.
In der Dalit-Theologie findet die spezifische Lebenssituation christlicher Dalits Ausdruck, die nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch innerhalb der Kirchen und in der Dalit-Community als ‚anders‘ gesehen werden. Dem gegenüber steht eine positive Affirmation und Identifikation der eigenen Dalitness und der Kultur der Dalits. Die Aneignung dieser Kategorie und einer eigenen theologischer Reflektion sei ein befreiender Akt.
Die Kirche als Körper Jesu, so M.E. Prabhakar, sei so gebrochen wie die Dalits: Sie nehme als „dienende Kirche“ und „Kirche der Armen“ die Erniedrigung und das Leiden auf sich.
Jesus selbst werde in der Kreuzigung durch die Ausgeschlossenheit aus der Gesellschaft, dem Gefühl des Verlassenseins durch Gott und sein körperliches Leiden selbst in seiner Dalitness erkennbar.
Feministische Theologinnen machen darauf aufmerksam, dass Frauen unter den Dalit wegen sexueller Belästigung, ökonomischer Ausbeutung und den Versuchen der Geburtenkontrolle besonders bedrängt seien. Aruna Gnanadason bezeichnet die Dalit-Frau daher als „Dalit of the Dalit“.
Nach- und Weiterlesen
Nirmal, Arvind (Hg.): A Reader in Dalit Theology, Madras 1992.
Zitat:
“[Jesus’] dalitness is best symbolized by the cross […]’My God, my God, why hast thou forsaken me?’, he cried aloud from the cros. The Son of God feels that he is God-forsake. That feeling of being God-forsaken is at the heart of our dalit experiences and dalit consciousness in India. It is the dalitness of the divinity and humanity that the cross of Jesus symbolizes.” – Arvind Nirmal
Nirmal, Arvind: Towards a Christian Dalit Theology, in: Ders. (Hg.): A Reader in Dalit Theology, Madras 1992, 69.
“God’s divinity and his humanity are both characterized by his dalitness. He is the one with the broken. He suffers when his people suffer. He weeps when his people weep. He laughs when his people laugh. He dies in his people’s death, and he rises again in his people’s resurrection.”- Arvind Nirmal
Nirmal, Arvind: Towards a Christian Dalit Theology, in: Ders. (Hg.): A Reader in Dalit Theology, Madras 1992, 70.